Gasflamme am Herd

«Wir müssen die Versorgung für den Winter sicherstellen»

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3 min
15.03.2022

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat bei vielen Menschen grosse Verunsicherung ausgelöst. Und auch den Wunsch, von russischem Gas unabhängig zu werden. Wie sehr hängt die Schweiz am russischen Gas und kann ein Ausstieg gelingen? Welche Alternativen gibt es? Ein Interview mit Thomas Hegglin, Leiter Kommunikation beim Verband der Schweizerischen Gasindustrie.

Das erwartet Sie in diesem Artikel

Herr Hegglin, wie sehr hängt die Schweiz von russischem Gas ab?
Die Schweizer Gaswirtschaft hat keine direkten Lieferbeziehungen zu Russland. Hingegen beschafft sie das Gas in erster Linie auf den Märkten in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien, also in Ländern der EU. Auf diesen Märkten ist der Anteil des russischen Gases unterschiedlich hoch. In Deutschland ist er beispielsweise höher als in den Niederlanden oder in Frankreich.

Viele Menschen wünschen sich, von russischem Gas unabhängig zu werden. Was kann die Schweiz hier tun?
Grundsätzlich ist die Schweizer Gaswirtschaft – ähnlich wie die EU – bestrebt, bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren und die Bezugsmöglichkeiten breiter abzustützen. In der Praxis ist das aber heute kaum umsetzbar. Denn im Gashandel wird nicht deklariert woher das Gas wirklich kommt. Wenn ein Gasversorger in einer bestimmten Region Gas beziehen möchte, müsste er mit dortigen Produzenten entsprechende individuelle Lieferverträge abschliessen. Dies wäre wesentlich komplexer und teurer als auf dem Spotmarkt Gas zu beschaffen.

Grafik, die die Gasversorgung der Schweiz zeigt.

Die Grafik zeigt, wo Gas in die Schweiz fliesst.

Wie weiter mit Nord Stream?

Die europäischen Länder und die EU arbeiten nun daran, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Wie kann das gelingen?
Es ist wichtig, mehr Bezugsmöglichkeiten zu haben. Dabei spielt unter anderem Liquified Natural Gas (LNG) beziehungsweise Flüssigerdgas eine wichtige Rolle. Denn auf diese Weise kann man Gas aus den unterschiedlichsten Weltregionen beschaffen. Die EU verfügt momentan über knapp 40 LNG-Terminals, in denen sie Flüssigerdgas ins europäische Netz einspeisen kann. Die deutsche Regierung will zwei LNG-Terminals in Deutschland bauen und die Speichermengen von Erdgas erhöhen. Auch die Internationale Energieagentur hat einen 10-Punkte-Plan präsentiert, wie Europa seine Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren kann. Von all diesen Bemühungen profitiert auch die Schweiz.

Thomas Hegglin, Leiter Kommunikation beim Verband der Schweizerischen Gasindustrie

«Die Schweizer Gaswirtschaft unternimmt grosse Anstrengungen, die Biogasproduktion auszubauen.»

Thomas Hegglin, Leiter Kommunikation beim Verband der Schweizerischen Gasindustrie

Nord Stream 2 ist allem Anschein nach Geschichte, auch Nord Stream 1 könnte stillgelegt werden. Welche Folgen hätte das für die Schweiz?
Unmittelbare Folgen für die Schweizer Versorgungssicherheit ergeben sich hier keine. Die Schweiz ist sehr gut in das europäische Ferngasnetz eingebunden und kann Gas aus anderen Quellen beziehen. Auch ist wie erwähnt davon auszugehen, dass Europa in den nächsten Jahren in den Ausbau der LNG-Terminalkapazitäten investieren wird. Das eröffnet zusätzliche Möglichkeiten der Gasbeschaffung, auch wenn es teurer ist.

Haben wir genug Gas?

Der Bundesrat hat allerdings gerade die Befürchtung geäussert, dass die Gasversorgung kommenden Winter aufgrund des russischen Angriffskriegs gefährdet ist. Teilt die Branche diese Befürchtung?
Ja, die Branche teilt diese Einschätzung. Die grosse Herausforderung ist jetzt, die Versorgung für den Winter 2022/23 sicherzustellen. Die Vorbereitungen müssen jetzt gestartet werden. Es gilt, die Aktivitäten der Branche zu koordinieren. Hier hat der Bundesrat einen Entscheid für die Gasversorgung getroffen und damit die rechtlichen Voraussetzungen gegeben, dass die Schweizer Gasbranche nun rasch Gas, Gasspeicherkapazitäten, Flüssiggas und Terminalkapazitäten für Flüssiggas beschaffen kann – und zwar gemeinsam. Andere Staaten Europas stehen vor denselben Herausforderungen, zumal dort der Gasbedarf sehr viel grösser ist.

Warum hat die Gasbranche nicht viel früher in den Ausbau erneuerbarer Gase investiert?
Um die Produktion und Nutzung erneuerbarer Gase in der Schweiz ausbauen zu können, braucht es bessere Rahmenbedingungen. Dabei geht es primär darum, erneuerbare Gase durch Investitionsbeiträge oder Einspeisebeiträge zu fördern. Noch immer wird lediglich die Stromproduktion aus Biogas unterstützt, die der Gasversorgung keinen Nutzen bringt. Auch in den kantonalen Energiegesetzen müssen die Rahmenbedingungen so ausgestaltet sein, dass Biogas als erneuerbare Energie anerkannt wird. Im Weiteren behandelt das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit importiertes Biogas nach wie vor als Erdgas. Es braucht rasch ein nationales Register für Herkunftsnachweise für erneuerbare Gase, das mit anderen Ländern vernetzt werden kann, sowie klare Regeln für den Import.

Biogasanlage in Inwil

Eine Biogasanlage in Inwil.

Es gibt Forderungen, komplett auf Biogas umzusteigen. Was unternimmt die Gasbranche in der Schweiz in dieser Hinsicht?
Die Schweizer Gaswirtschaft unternimmt grosse Anstrengungen, die Biogasproduktion auszubauen. Dazu betreibt sie einen Fonds für erneuerbare Gase. Dieser unterstützt gezielt Projekte mit Gaseinspeisung. Zudem kann die Biomethanproduktion mit Power-to-Gas in Zukunft massiv gesteigert werden. Insgesamt könnte die Schweiz rund 10 TWh erneuerbare Gase produzieren. Die künftigen grossen Potenziale für synthetische Gase liegen aber in Ländern mit hohen Potenzialen zur Produktion von Strom aus Sonne und Wind. Denn dort können Power-to-Gas-Anlagen wesentlich effizienter betrieben werden.

Braucht die Schweiz Gaskraftwerke?

Ein kurzer Exkurs: Gas ist zwar vor allem wichtig für die Wärmeversorgung, aber auch, um Strom zu erzeugen. Mitte Februar ist der Bundesrat zu dem Schluss gekommen, dass auch die Schweiz Gaskraftwerke braucht, um die Stromversorgung im Winter sicherzustellen. Ist das nun hinfällig? Und was bedeutet die Entwicklung für die Versorgungssicherheit mit Strom?
An der Tatsache, dass die Schweiz im Winter zunehmend eine Stromlücke hat, die gedeckt werden muss, hat sich nichts geändert. Die für die Schweiz wichtigsten Bezugsländer Deutschland und Frankreich kommen zunehmend in eine Situation, in der sie selbst keinen Strom mehr liefern können, vor allem im Winter. Auf diese Problematik  weist die Elcom schon seit Jahren hin. An den Plänen des Bundes, Gaskraftwerke einzusetzen, hat sich nichts geändert. Selbstverständlich muss unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit gewährleistet sein, dass genügend Gas vorhanden ist, das bei Bedarf eingesetzt werden kann.

Autor: Viktor Sammain

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