Umweltingenieur Claudius Bösiger im Interview
Die Gebäude sind in der Schweiz für 40 Prozent des Energieverbrauchs und für rund einen Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich – auch aufgrund veralteter Fassaden. Gebäudehüllen gehören daher zu den ersten Sanierungsposten. Sollte bei jeder Altbausanierung auch gleich an Solarfassaden mit Photovoltaik gedacht werden?

Die einzige Art von Gebäudehülle die Geld erwirtschaftet: Die Solarfassade.
Claudius Bösiger: Das kommt auf mehrere Faktoren an. Gerade ältere Gebäude – beispielsweise Mehrfamilienhäuser aus den 1970er-Jahren – eignen sich vielfach für Solarfassaden. Denn sie sind hoch, haben eine verhältnismässig grosse, oft unverschattete Fassadenfläche und im Gegenzug nur eine kleine Dachfläche. Da sollte eine Solarfassade sicherlich in Betracht gezogen werden. Einfamilienhäuser eignen sich oftmals weniger, da sie eine im Verhältnis zum Dach eher kleine Fassadenfläche aufweisen. Deshalb lohnt sich dort Photovoltaik auf dem Dach eher.
Gibt es weitere Kriterien, die ein Gebäude erfüllen sollte, damit eine Solarfassade in Frage kommt?
Grundsätzlich ist eine Solarfassade bei jedem Typ Haus möglich. Zentral ist jedoch: Welche Fassadenqualität strebt der Bauherr an? Wenn er sowieso eine Glas-, Metall- oder Keramikfassade wünscht, ist es wirtschaftlich gesehen nur ein kleiner Sprung zu einer Solarfassade. Kommt hinzu, dass eine Solarfassade die einzige Art von Gebäudehülle ist, die Geld erwirtschaftet. Die Stromproduktion deckt die zusätzlichen Investitionen ab. Besonders interessant für Photovoltaik an der Fassade sind Industriebauten. Sie verfügen oft über eine grosse, fensterlose Fassadenfläche und liegen nicht im Schattenwurf anderer Gebäude. Generell lässt sich aber sagen: Egal bei welchem Gebäudetyp – eine frühzeitige Planung ist zentral.

Claudius Bösiger
Der Umweltingenieur gründete 2011 gemeinsam mit Roman Brunner die Planeco Solar GmbH in Münchenstein – mit dem Ziel, die Photovoltaik als erneuerbare Energiequelle zu fördern. Als Inhaber und Geschäftsführer setzt er seit Jahren auf Solarfassaden und hat mittlerweile rund zehn Grossprojekte realisiert. Das Vorzeigeobjekt der Planeco Solar GmbH ist der Grosspeter Tower in Basel. Dessen 6000 m2 grosse Solarfassade produziert rund 260 000 kWh pro Jahr. Damit deckt das Gebäude seinen Grundstrombedarf zu einem grossen Teil selbst. Für ein Bauwerk in dieser Grösse ist das europaweit einzigartig.
Mehr zu Planeco Solar GmbHWorauf legen Sie bei der Planung ein spezielles Augenmerk?
Anders als bei herkömmlichen Fassadenelementen können die Glaselemente einer Solarfassade nicht auf der Baustelle zugeschnitten werden. Sie werden vorgängig bestellt und fixfertig angeliefert. Das heisst, unsere Planung muss auf den Millimeter genau stimmen, sonst müssten wir neue Elemente kaufen. Eine solche Planung erfordert viel Vorlaufzeit und eine gute Abstimmung mit den Architekten und der Bauherrschaft.
Welche Rolle spielt die Ästhetik bei der Photovoltaik an der Fassade?
Eine grosse, daher herrschten anfänglich bei Architekten oder Bauherren oft Bedenken bezüglich der Optik vor. Grundsätzlich ist aber fast alles möglich. Denn eine Solarfassade ist eine Glasfassade. Das heisst, ihre Oberfläche kann entsprechend bedruckt und strukturiert werden. Ziel ist es, eine ansprechende Optik bei einem möglichst hohen Energieertrag zu erreichen.
Photovoltaik: Mehr Solarstrom möglich
Das Bundesamt für Energie schätzt das Solarstrompotenzial der Schweizer Hausfassaden auf jährlich 17 TWh. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Mühleberg, das 2019 vom Netz ging, produzierte knapp 3 TWh pro Jahr. Rechnen wir zum Potenzial der Fassaden jenes der Dächer dazu, sind es 67 TWh. Das bedeutet: Die Solarstromproduktion in der Schweiz könnte 40-mal höher sein, als sie es heute ist.
Was braucht es, damit sich Solarfassaden stärker auf dem Markt durchsetzen?
Die Investitionskosten sind sicherlich noch ein wichtiger Punkt. Indem wir bei den Modulen mehr auf Standardisierung und Einfachheit setzen, senkt das die Produktionskosten und den Planungsaufwand. Zudem brauchen wir weiterhin Leuchtturmprojekte wie den Grosspeter Tower in Basel. Mit solchen Vorzeigeprojekten und etwas Zeit überzeugen wir Architekten und Bauherren, dass sich eine Solarfassade aus wirtschaftlicher und gestalterischer Sicht lohnt.

Das Vorzeigeprojekt: Der Grosspeter Tower in Basel
Welche Vorteile hat eine Photovoltaikanlage an der Fassade gegenüber einer auf dem Dach?
Solarfassaden sind gute Winterstromlieferanten. Denn ist der Sonnenstand eher tief, trifft die Sonne in einem idealen Winkel auf die Photovoltaikmodule. Grundsätzlich bietet sich aber eine Kombination von Dach und Fassade an, wenn Gebäude die oben genannten Bedingungen erfüllen. So werden Gebäude am ehesten zu sogenannten Plusenergiebauten. Solche Gebäude produzieren mehr Energie, als sie selbst verbrauchen. Wollen wir die Ziele der Energiestrategie 2050 erreichen, ist das zentral. Schliesslich wird es immer alte Gebäude geben, deren Bilanz durch Plusenergiebauten kompensiert werden muss.