In einem Stromsystem müssen sich Angebot und Nachfrage jederzeit die Waage halten. Diese physikalische Grundbedingung ist mit einer schwankenden Erzeugung aus erneuerbaren Quellen nicht so ohne weiteres zu erfüllen. Dazu kommt: Die Energiewende, der sich die Schweiz verschrieben hat, verfolgt ausgesprochen ambitionierte Ziele. Einerseits gilt es, rund ein Drittel Atomstrom im Gesamtmix zu ersetzen, andererseits soll Netto-Null beim Treibhausgasausstoss bis 2050 erreicht werden. Zwar erfolgt der Abschied der Schweiz von den fossilen Energien kontinuierlich. Doch wenn immer mehr elektrische Wärmepumpen die Ölheizungen ablösen und Elektroautos die Benziner ersetzen, steigt auch der Stromverbrauch – gerade in der kalten Jahreszeit, in der die Produktion ohnehin ihren Tiefstand erreicht.
Wichtige Weichen für den Ausbau
Da die Atomkraft in der Schweiz ein Auslaufmodell ist und die Wasserkraft sich nur noch beschränkt ausbauen lässt, könnte der Strom knapp werden. Es droht gar eine Unterversorgung von bis zu 30 Prozent in der kalten Jahreszeit – nicht zuletzt deshalb, weil die bisherige Importstrategie heute auf der Kippe steht.
Die Ausgangslage ist also herausfordernd und das Risiko ist auf Bundesebene erkannt: Der im Herbst 2023 vom Parlament verabschiedete Mantelerlass stellt wichtige Weichen für den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Folgende geplante Massnahmen sind in diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert:
• Gegenüber dem Stand von 2022 soll die Produktion der Erneuerbaren ohne Wasserkraft bis 2035 um etwa das Fünffache steigen (auf 35 TWh) und bis 2050 gar knapp verachtfacht werden (auf 45 TWh).
• Die Winterstromproduktion aus erneuerbaren Energien gilt es bis 2040 um 6 TWh auszubauen, was ziemlich genau der Jahresproduktion des Atomkraftwerks Beznau (Reaktoren I und II) entspricht. 2 TWh abrufbare Produktion sind aus Speicherwasserkraft vorgesehen.
• An Produktionsanlagen ab einer bestimmten Grösse besteht ein nationales Interesse: Ihre Realisierung hat Vorrang gegenüber Interessen von kantonaler, regionaler und lokaler Bedeutung.
• Produktionsanlagen ausserhalb der Bauzone – etwa Photovoltaik oder Biomasse – erhalten bessere Rahmenbedingungen und somit erhöhte Bewilligungschancen.
• Der Stromverbrauch zugunsten der Versorgungssicherheit im Winter soll mithilfe neuer Effizienzinstrumente um 2 TWh reduziert werden.
Mantelerlass (Stromgesetz) und Referendum
Mit der Umsetzung des Energie-Mantelerlasses würde die Versorgungssicherheit in der Schweiz gestärkt – gerade in der kalten Jahreszeit. Anfang 2024 kam nun aber ein Referendum dagegen zustande. Das Resultat ist eine Volksabstimmung über das Stromgesetz und viel umsonst verstrichene Zeit. Dieser Umstand zeigt exemplarisch, dass das Problem der Winterstromlücke in der Schweiz auch hausgemacht und kein Fehler der Energiestrategie 2050 des Bundes ist.
Wenn’s ernst wird: OSTRAL
Somit ist die Schweiz gut beraten, eine Lösung für eigentliche Notfälle in der Hinterhand zu haben. Eine «Strommangellage» wird gemäss Bundesverfassung als «schwere Mangellage» definiert. Lesen Sie jetzt das Interview mit Lukas Küng, Leiter der Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen (OSTRAL). Er gibt Auskunft darüber, was im Falle einer akuten Strommangellage tatsächlich passiert.
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