Radprofis an der Tour de Suisse 2023

Leistung bis zum Limit: Wie Radprofis die Energie einsetzen

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5 min
21.04.2023

Egal ob eine Rundfahrt mit mehreren Etappen oder ein Eintages-Event: Ein Radrennen ist für alle Teilnehmer eine körperliche Extrembelastung. David Loosli, Ex-Profi und heutiger Sportlicher Direktor der Tour de Suisse, weiss aus eigener Erfahrung, wie Radprofis ihrem Körper die maximale Leistung abverlangen. Denn der gebürtige Berner war früher selbst Radprofi. Er hat nicht nur mehrmals die Tour de Suisse absolviert, sondern auch acht Grands Tours in Frankreich, Italien und Spanien in den Beinen.

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Wer gewinnen will, muss minutiös planen

Sein härtestes Rennen war die erste Tour de France. «Gleich in meinem ersten Profijahr bot mich mein Team kurzfristig auf», erinnert er sich. «Es war brutal, aber auch ein grossartiges Erlebnis, nach drei Wochen in die Champs-Élysées einzubiegen.»

Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine akribische Vorbereitung nötig. «Die Fahrer planen ihre Saison zusammen mit ihrem Team», erzählt David Loosli. «Dabei definieren sie zwei oder drei Jahreshöhepunkte, für die sie in Topform sein wollen.» Ein Fahrer, der beispielsweise die Tour de Suisse gewinnen möchte, absolviert also ein gezieltes Aufbautraining, damit er am «Tag X», in der Tour de Suisse also im Juni, die Topleistung erbringt.

David Loosli, sportlicher Direktor der Tour de Suisse

David Loosli war früher selbst Profiradfahrer. Heute ist er der Sportliche Direktor der Tour de Suisse.

Mit Wattmessung zur Topleistung

Doch wie lässt sich diese messen und vergleichen? Der wesentliche Leistungswert im Radsport ist die Wattzahl (siehe Box). «Das ist ein wenig wie die PS bei einem Auto», sagt David Loosli. «Jeder weiss, wie viel Watt er in Topform hinkriegt.» Während ein durchschnittlich trainierter Hobbyradfahrer während einer Stunde 3 bis 4 Watt pro Kilogramm Körpergewicht zu leisten vermag, sind es bei Profis 5 bis 6 Watt pro Kilogramm.

Ihre genauen Werte hüten die Spitzenfahrer normalerweise wie Staatsgeheimnisse. Denn genau wie beim Auto, das dank mehr PS schneller fährt als ein anderes, lässt sich die Formel auch auf den Radsport übertragen: Wer mehr Power aufs Pedal bringt, kommt schneller ans Ziel. Zumindest in der Theorie. In der Praxis spielen natürlich auch Faktoren wie Taktik, fahrerisches Können oder Wettkampfglück eine wichtige Rolle.

Wattzahl – die PS der Radsportler

Die Wattzahl gibt Aufschluss über die Leistung einer Radsportlerin oder eines Radsportlers. Ein Top-Sprinter vermag bis zu 1900 Watt auf die Pedale zu bringen, jedoch nur während weniger Sekunden. Über ein gesamtes Rennen gerechnet, beträgt die durchschnittliche Leistung eines Profis zwischen 250 und 300 Watt.

Um Vergleichswerte zu ermöglichen, errechnen die Profis ihre Leistungswerte im Verhältnis zum Körpergewicht, die sogenannte gewichtsbezogene oder auch spezifische Leistung. Die Messung erfolgt durch Sensoren in den Pedalen über eine bestimmte Dauer. Wenn beispielsweise ein 75 Kilogramm schwerer Radfahrer über 60 Minuten eine Leistung von 300 Watt erbringt, so beträgt sein spezifischer Wert über diese Zeitdauer 300/75 = 4 Watt/Kilogramm.

Wichtig ist diese Zahl vor allem bei Bergprüfungen langer Etappenrennen wie der Tour de France. Absolute Spitzenfahrer wie der mehrfache Tour-de-France-Sieger Tadej Pogačar erreichen dabei Durchschnittswerte von über 6 Watt/Kilogramm. Bei den Frauen ist der Spitzenwert etwas tiefer und beträgt etwas mehr als 5 Watt/Kilogramm.

8000 bis 10 000 Kalorien pro Rennen

Um solche Leistungen überhaupt zu erbringen, ist natürlich auch die Zufuhr von Energie entscheidend. Besteht in der Aufbauphase ein ausgewogener Ernährungsplan, gilt es während des Rennens, Kalorien zu bolzen. «Unterwegs ist man permanent am Essen», bestätigt David Loosli. Kein Wunder, benötigt der Körper in einem grossen Rennen doch rund 8000 bis 10 000 Kalorien.

Wann der Athlet wie viel essen oder trinken muss, das bestimmt ein ausgeklügelter Ernährungsplan. Ein Genuss ist das Essen auf dem Rennrad laut Loosli allerdings nicht. «Die körperliche Belastung ist so gross, dass kaum Hungergefühle aufkommen.» Hinzu kommt, dass die Fahrer die Nahrung meist in Form nicht besonders leckerer Powergels hinunterwürgen.

Doch die Verpflegung wie auch das Training können noch so optimal sein: Ein Radrennen bleibt eine Extrembelastung – insbesondere wenn es mehrere Tage oder Wochen dauert. Auch bei der besten Verpflegung und dem besten Training bleibt deshalb eines für die Radsportler unerlässlich, um die nötige Energie aufs Pedal zu bringen: ausreichend Ruhe und Erholung.

Radfahrer erhält an der Tour de Suisse eine Trinkflasche aus einem Auto gereicht

Ausgeklügelter Ernährungsplan: Der Körper braucht während des Rennens viel Energie – meist in Form von Powergels. Foto: Buchli Fotografie

Radprofis bringen 40 LED-Lampen zum Leuchten

Ein 72 Kilogramm schwerer Spitzenfahrer mit einem Leistungswert von 6 Watt/Kilogramm wuchtet sich mit einer Leistung von 400 Watt dem Ziel entgegen. Diese Leistung würde ausreichen, um …

… 40 LED-Lampen (je 10 W) zum Leuchten zu bringen
… 4 LCD-Fernseher (je 100 W) laufen zu lassen
… 2 einfache elektrische Mixer (je 200 W) zu bedienen

Die Werte beziehen sich jeweils auf Durchschnittswerte für handelsübliche Geräte. Natürlich besteht bei allen Geräten eine grosse Spanne: Ein einfacher Handmixer beispielsweise leistet 100 Watt, während ein starker Mixer, der auch Brot kneten kann, bis zu 500 oder 600 Watt zu leisten vermag.

Autor: Simon Eberhard

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