Conrad Ammann, CEO von Primeo Energie vor dem Hauptsitz in Münchenstein

«Das Risiko einer Stromlücke besteht, wenn …»

5 min
20.12.2021

Wie schafft die Schweiz den Spagat zwischen klimafreundlichem Fortschritt und Versorgungssicherheit? Droht eine Stromlücke? Und ist Kernkraft vielleicht wieder eine langfristige Option? Primeo Energie-CEO Dr. Conrad Ammann über die aktuelle Stromsituation in der Schweiz.

Herr Ammann, steuert die Schweiz auf eine Stromlücke zu?

Das Risiko einer Stromlücke besteht unter der Voraussetzung, dass wir eine hohe Eigenversorgung anstreben. Für mich steht allerdings fest, dass diese Strategie nicht funktioniert. Die Schweiz muss die Herausforderung der zukünftigen Energieversorgung zusammen mit der EU lösen. Dazu gehören Importe im Winter, aber auch Leistungen von unserer Seite. So können wir die Spitzenzeiten im zentraleuropäischen Raum gemeinsam bewältigen.

Mehr Importe machen uns abhängiger vom Ausland.

Ich sehe diesen Punkt. Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) will bekanntlich das Importvolumen auf jährlich zehn Milliarden Kilowattstunden begrenzen. Ich weise aber darauf hin, dass die Ausbaumöglichkeiten von Wasser- und Windkraft in der Schweiz sehr gering sind. Es gibt grosse Widerstände.

«Wir müssen alles daransetzen, dass wir im europäischen Strommarkt stark eingebunden bleiben.»

Conrad Ammann

Primeo Energie ist am Stromkonzern Alpiq beteiligt, der die Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt betreibt. Sind Sie für längere KKW-Laufzeiten?

Von einer Verlängerung der Laufzeiten zu sprechen, ist an sich falsch. Die Kernkraftwerke dürfen gemäss Gesetz so lange in Betrieb bleiben, wie die staatliche Aufsichtsbehörde ENSI sie als sicher bewertet. Das Bundesamt für Energie setzt sich dafür ein, dass die KKWs 60 Jahre Strom produzieren statt 50 Jahre, wie es aktuell vorgesehen ist. Das halte ich für sinnvoll. So erhalten wir mehr Zeit, um die Energiewende zu meistern.

Was entgegnen Sie Kritikern, die von einem untragbaren Risiko sprechen und die Kernkraftwerke lieber heute als morgen abschalten wollen?

Man muss wissen, dass seit dem Reaktorunglück von Fukushima Milliarden in die Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke investiert wurden. Im europäischen Quervergleich gehören die Anlagen zu den bestgeführten.

Aus Politik und Gesellschaft gibt es teils die Forderung nach dem Bau neuer KKWs. Was halten Sie davon?

Die politische Bereitschaft für neue KKWs ist überhaupt nicht vorhanden, entsprechende Absichten wären in der Bevölkerung chancenlos. Auch würde sich heute kein Investor auf ein KKW-Abenteuer einlassen. Nimmt man jedoch eine rein betriebswirtschaftliche, ideologiefreie Sicht ein – auch unter dem Aspekt des Klimawandels –, könnten KKWs durchaus eine Option darstellen. Die Technologie hat sich schliesslich weiterentwickelt, es gibt mittlerweile interessante Ansätze für kleinere Werke.

Conrad Ammann, CEO von Primeo Energie im Gespräch

Für Conrad Ammann könnten Gaskraftwerke helfen, die Stromlücke zu schliessen.

Was halten Sie vom Bau neuer Gaskraftwerke, um eine mögliche Stromlücke zu vermeiden?

Wenn man davon ausgeht, dass ein Versorgungsengpass zu den grössten Risiken in der Schweiz gehört, sollten wir uns damit befassen, was wir dagegen unternehmen können. Gaskraftwerke könnten eine Art Versicherung darstellen, die uns im Falle einer Stromlücke zur Verfügung steht.

Gaskraftwerke sind aber nicht CO2-neutral.

Darum wäre es wichtig, die Rolle von Gaskraftwerken genau zu definieren. Wie wird ihr CO2-Ausstoss kompensiert? Wann kommen sie überhaupt zum Zug? Welche Vergütungen sichert der Staat verbindlich zu? In Europa ist es derzeit nicht vorstellbar, die bereits gebauten Gaskraftwerke herunterzufahren. Sie sind nötig, um den Kohleausstieg zu schaffen und die Stabilität im Netz zu garantieren – gerade im Angesicht einer möglichen Stromlücke. Mit den Erneuerbaren, die manchmal viel, manchmal wenig Strom produzieren, kommt es immer wieder zu Schwankungen.

Verfolgt Primeo Energie ein eigenes Gaskraftwerk-Projekt?

Für uns ist das kein Thema. Das ist in meinen Augen eine Sache für die grossen Kernkraftbetreiber. Ich denke an ein bis zwei Gaskraftwerke, die bei Engpässen in der Stromversorgung regional genutzt werden könnten. Vielleicht sind diese Anlagen insgesamt sogar kostengünstiger als der massive Ausbau der Erneuerbaren.

«Mit der Photovoltaik allein können wir die Stromlücke nie füllen.»

Conrad Ammann

Kommen wir zurück auf die entscheidende Frage: Was geschieht, wenn die KKWs vom Netz gehen? Ihr Anteil an der gesamten Stromproduktion beträgt hohe 35 Prozent. Wie wird die Stromlücke dann verhindert?

Die Möglichkeiten sind begrenzt. Potenzial erkenne ich hauptsächlich in der Photovoltaik. Sie ist breit akzeptiert und lässt sich unkompliziert auf Hausdächern oder anderswo realisieren. Bei Grossanlagen, die wir über unsere Beteiligungsfirma aventron in Spanien betreiben, erzielen wir inzwischen marktfähige Preise. Es ist aber klar, dass wir mit der Photovoltaik allein nie die Stromlücke füllen können.

Und Windräder kommen ebenfalls nicht in Frage, wie Sie mit Ihrem gescheiterten Projekt im Muttenzer Hardwald feststellen mussten. Ist es nicht so, dass die Gesellschaft nach erneuerbaren Energien ruft, sich aber niemand solche Bauten vor der eigenen Haustüre wünscht?

Tatsächlich mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass Pläne für Windkraft- oder Wasserkraftanlagen sowohl im dichtbesiedelten Raum als auch in unberührten Landschaften in der Schweiz riesige Widerstände auslösen. Andernorts in Europa, wo viel grössere Landreserven bestehen, ist das anders. Bei der geplanten Windturbine im Hardwald kamen wir nicht weit – die Gemeindeversammlung legte bereits bei der Zonenplanung ihr Veto ein. Das ist schon bemerkenswert.

Was bedeutet diese Erkenntnis für die weitere Ausgestaltung der Klimapolitik? 

Wir müssen uns in der Schweiz darauf einstellen, auch langfristig Strom aus Europa zu beziehen – vor allem aus Frankreich, das an seinen Kernkraftwerken festhält und sogar daran ist, neue Produktionsstätten hochzuziehen. Solange Frankreich an seiner nuklearen Energiepolitik festhält, kommen wir in der Schweiz, aber auch in Deutschland, Österreich und Italien über die Runden. Zu diesem Schluss ist unlängst auch das Bundesamt für Energie in einer Studie gekommen.

Es ist aber schon recht scheinheilig, in der Schweiz die KKWs stillzulegen und gleichzeitig einfach den Kernkraftstrom aus dem Nachbarland zu beziehen.

Das mag sein, aber das ist die ehrliche Antwort auf Ihre Frage. Die hohen Importe aus Frankreich sind nun einmal eine Realität.

Welche Auswirkungen hat das gescheiterte Rahmenabkommen für die Versorgungssicherheit der Schweiz?

Ein wichtiger Punkt. Wir müssen alles daransetzen, dass wir im europäischen Strommarkt stark eingebunden bleiben. Auf der technischen Ebene ist das weiterhin der Fall. Es ist an sich gar nicht möglich, ein Land mitten im Herzen von Europa einfach vom Stromnetz auszuschliessen. In den politischen Entscheidungsgremien sind wir aber derzeit ausgeschlossen und können nicht mitreden.

Was erwarten Sie vom Bundesrat?

Der Zustand der Rechtsunsicherheit ist für die Unternehmen ein grosses Problem, auch für Primeo Energie. Ich spreche hier wohl nicht nur für die Stromwirtschaft, sondern für alle Branchen. Es besteht keine Planbarkeit. Um Investitionen zu tätigen und Entscheide zu treffen, sind wir auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Der Bundesrat muss darum alles unternehmen, um zusammen mit der EU ein für beide Seiten akzeptables Abkommen auszuhandeln.

Welche Entwicklung erwarten Sie bei den Strompreisen?

In den letzten zehn Jahren war der Strom unglaublich günstig und verharrte auf demselben Niveau. Da sich die meisten Stromversorger am Markt eindecken und zudem in der nächsten Zeit hohe Summen in den Ausbau der Infrastruktur investieren müssen, dürfte der Strompreis nun aber tendenziell steigen. Das wird bei Primeo Energie nicht anders sein. Unser Ziel ist es, dass wir uns preislich im Mittelfeld bewegen und Privaten wie KMU als verlässlicher Energieversorger zur Seite stehen. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben.

Dieser Text ist die bearbeitete Version eines Artikels von Prime News.

Ökostrom von Primeo Energie

Primeo Energie bietet ihren Kundinnen und Kunden in der Grundversorgung hundertprozentig erneuerbaren Strom an. Kundinnen und Kunden, die «Primeo Grün» beziehen, beteiligen sich durch den Stromkauf automatisch an Naturschutzmassnahmen. Pro Kilowattstunde «Primeo Grün»-Strom fliessen 0,7 Rappen in den Ökofonds für nachhaltige Projekte in der Umgebung.

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Autor: Luca Thoma, Melina Schneider und Christian Keller

Foto: Christian Keller

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