Baselbieter Schwinger Roger Erb und Gabriel Nussbaumer (beim Schwingen) im Sägemehl. 

ESAF 2022: So viel Kraft und Energie braucht’s beim Schwingen

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5 min
21.09.2022

Gross, stark, robust: Wer sich ins Sägemehl traut, muss körperlich topfit sein und nicht nur austeilen, sondern auch einstecken können. Biomechaniker Silvio Lorenzetti hat untersucht, welche Kräfte beim Schwingen auf die Sportler wirken. Die Erkenntnisse verblüffen sogar Roger Erb, Baselbieter Trumpf fürs ESAF 2022.

Das erwartet Sie in diesem Artikel

«Ich beschäftige mich mit Bewegung und Belastung des Körpers und der Körperstrukturen», fasst Silvio Lorenzetti sein Tätigkeitsfeld kurz zusammen. Der Schaffhauser ist seit einigen Jahren Leiter des Ressorts Leistungssport am BASPO, dem Bundesamt für Sport in Magglingen. Seine Kundschaft besteht zu einem grossen Teil aus nationalen Sportverbänden. Dabei geht es unter anderem um Leistungsdiagnostik, sportwissenschaftliche Beratungen und Untersuchungen. Aber auch um Physiotherapie, Psychologie, Trainingswissenschaft, Physiologie und Sportmedizin.

Da Schwingen zu den Sportarten von nationaler Bedeutung gehört, kommen Lorenzetti und sein Team immer wieder in Kontakt mit entsprechenden Protagonisten. «Beim Schwingen sind die Kraft und die Dynamik entscheidend – das fasziniert mich natürlich sehr.» Auch die Sensomotorik spielt eine grosse Rolle, also das Zusammenspiel zwischen Reizaufnahme und Reizantwort in Form von Bewegung. «Ein Schwinger muss rasch spüren, was der Gegner vorhat, und dann blitzschnell und kräftig reagieren.» Reagiert ein Sportler falsch oder zu spät, klebt ihm bald schon das Sägemehl am Rücken.

Gespräch mit Silvio Lorenzetti, Biomechaniker BASPO, im Videocall.

Bewegung und Kraft sind sein Metier: Silvio Lorenzetti, Leiter Leistungssport am BASPO.

Voraussetzungen fürs Schwingen

Jede Bewegung, die wir vornehmen, erfordert einen gewissen Kraftaufwand. Diese kinetische Energie, also die Bewegungsenergie, entspricht der Arbeit, die wir aufwenden, um ein Objekt zu bewegen. Sie hängt dabei von Masse und Geschwindigkeit des bewegten Körpers ab. Apropos Masse: «Das Gewicht spielt beim Schwingen eine grosse Rolle – das eigene und jenes des Gegners», sagt Silvio Lorenzetti. Je schwerer der Schwinger, desto schwieriger ist es, ihn in Bewegung zu bringen, geschweige denn zu lupfen. «Wichtig ist, möglichst viel Gewicht in Muskelmasse zu haben, da die Muskeln Kraft erzeugen können.»

Und wie steht es mit der Grösse? Hin und wieder gibt es auch beim Schwingen Paarungen, die optisch unfair wirken – Stichwort Gross gegen Klein. «Grosse Schwinger haben durch die längeren Gliedmassen eine bessere Hebelwirkung als kleine», sagt Lorenzetti. «Dafür liegt der Körperschwerpunkt höher, was wiederum ein Nachteil ist.» Etwas vereinfacht: Ein Turm kommt schneller ins Wanken als ein gleich schwerer Würfel.

Das Experiment im Schwingkeller

Silvio Lorenzetti hat für die SRF-Sendung «Einstein» untersucht, wie stark die Kräfte sind, die im Ernstkampf auf die Schwinger wirken. Dazu haben er und sein Team in einem Schwingkeller eine Kraftmessplatte im Sägemehl vergraben und zwei Profi-Schwinger mit Bewegungsanalysesystemen und Hautmarkern versehen. «Mit vierzehn Spezialkameras haben wir sämtliche Bewegungen millimetergenau erfasst und analysiert.»

Die Resultate beeindrucken. Bei der sogenannten «Brücke» wehrt sich der unten liegende Schwinger gegen die Niederlage. In dieser Position beträgt die Kraft auf den Kopf-/Nackenbereich bis zu 300 Kilo. Die Landungskraft bei einem «Hüfter» wiederum liegt während zweier Hundertstelsekunden bei über einer Tonne. «Diese Kraftspitze ist kurz und stellt für einen Profi keine grosse Gefahr dar.» Weitere Gründe, weshalb die Schwinger ob den Kräften nicht plattgewalzt werden, sind die weiche Unterlage und die kurze Wirkdauer. «Das Sägemehl leitet einen Teil der Aufprallenergie ab. Zudem ist die Fallhöhe gering, sodass die Körper dabei kaum Geschwindigkeit aufnehmen.»

Auch wenn die eben erwähnten Zahlen eindrücklich sind: Es gehört zu einer der wichtigsten Aufgaben unseres Körpers, mit physischen Belastungen im Alltag umzugehen. Beim Joggen oder Rennen beispielsweise wirkt beim Aufsetzen zirka das dreifache Körpergewicht auf den jeweiligen Fuss. Kräfte, die über die Muskulatur und die Knie- und Hüftgelenke abgeleitet werden. Silvio Lorenzetti: «Wichtig ist letztlich, dass der Körper nicht falsch belastet wird. Von den Kräften her hält er mehr aus, als wir denken.»

«Mir liebe Schwinge»

Primeo Energie ist Königspartnerin des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests 2022 Pratteln im Baselbiet. Wir waren live vor Ort, als sich vom 26. bis 28. August die «bösesten» aller Schwinger in der Sägemehlarena gemessen haben.

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Roger Erb, inwiefern haben Sie die Erkenntnisse von Silvio Lorenzetti überrascht?

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Autor: Luk von Bergen

Foto: Markus Lamprecht

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